In der Politik darf man keine halben Sachen machen
Nach den epochalen Verlusten von CDU und SPD bei der hessischen Landtagswahl spricht wenig für politischen Aufbruch in Berlin. Die „Große“ Koalition wird zusammenbleiben, aber noch vorsichtiger regieren, keine heißen Eisen anpacken und wenig Reformaktivitäten zeigen, um bloß keinen neuen Streit loszutreten. Denn der führte zu Neuwahlen, die Union und SPD auch im Bund zu zukünftigen Ex-Volksparteien machten. Die Regierungspartner verhalten sich wie ein zerstrittenes Ehepaar, das die Scheidung unbedingt vermeidet, weil ansonsten das gemeinsame Haus weg ist.
Auch Eichhörnchen sorgen für den Winter vor
Doch ist mit dem Weg des geringsten politischen Widerstands kein Staat zu machen. Angesichts der aktuell guten konjunkturellen Lage klopfen sich CDU, CSU und SPD zwar gerne auf die eigene Schulter. Ich will unsere Wirtschaft überhaupt nicht schlechtreden. Doch zeigt das heile Bild eines quantitativ guten Arbeitsmarkts bei qualitativer Betrachtung Risse. Es gibt viel prekäre Beschäftigung. In Deutschland fällt man schon aus der Arbeitslosenstatistik, wenn man offiziell die Hunde des Nachbarn Gassi führt. Wir brauchen aber einkommensstarke Beschäftigung, mit der sich z.B. die hohen Mieten bezahlen lassen. Übrigens, Wohnungsnot ist nicht erst seit gestern bekannt. Offensichtlich singt man in Berlin „Schlaf in himmlischer Ruh“ nicht nur zur Weihnachtszeit.
Grundsätzlich hätten die stabilen Wirtschaftszeiten längst genutzt werden müssen, um Deutschland wetterfest für das Zeitalter der Digitalisierung zu machen. So mancher afrikanische Staat hat mittlerweile ein besseres Netz als Deutschland. Der weltweite Standort- und Innovationswettbewerb ist bereits brutal und wird noch brutaler. Nicht nur große, auch immer mehr Mittelstandsunternehmen suchen sich den besten Standort wie in einem Modekatalog aus. Bei Beibehaltung des Status Quo droht Deutschland, allmählich zu einer Exportnation von Arbeitsplätzen und Zukunftstechnologien zu werden. Leider sind Arbeitnehmer nicht so mobil wie Kapital.
Ein moderner Standort braucht nicht zuletzt - z.B. für die E-Mobilität - immer mehr Strom. Die Energiewende sorgt allerdings noch nicht für ausreichend Spannung.
In Europa kann Deutschland nicht als Lame Duck auftreten
Um Nachfolgediskussionen zuvorzukommen hat Angela Merkel die Reißleine gezogen. Sie zieht sich vom Vorsitz der CDU zurück und verzichtet auf eine erneute Kanzlerkandidatur, will aber bis zur Neuwahl 2021 im Kanzleramt bleiben. Mit der Splittung von Partei- und Regierungsamt erodiert jedoch ihre Handlungsfähigkeit. Denn natürlich strebt die Nachfolgerin bzw. der Nachfolger an der Parteispitze - wie in der CDU üblich und auch von Frau Merkel immer gewollt - ebenso die Kanzlerschaft an. Die ihr nachfolgende Person will zudem schon vor der nächsten Bundestagswahl regieren und sich profilieren, um nicht als Greenhorn in den Wahlkampf zu ziehen. Diese permanente „Putschgefahr“ - vor allem wenn an der CDU-Spitze ein Kandidat mit Merkel-fremden Duftmarken sitzt - macht Angela Merkel zur Königin ohne Land, zur Kanzlerin auf Abruf. Je länger der Abschied vom Kanzleramt anhält, umso mehr wird in Berlin verwaltet und moderiert statt gestaltet und regiert.
Auch für die deutsche Europa-Politik ist die Kanzlerinnendämmerung schädlich. Die EU-Partner werden die entstehende Führungslücke für eigene Zwecke ausnutzen. Die Euro-Südzone wird die Einführung einer europäischen Einlagensicherung und die Vergemeinschaftung von nationalen Schulden möglichst ohne stabilitätspolitische Gegenleistung forcieren. In Rom trinkt man bereits Prosecco: Ist die deutsche Stabilitäts-Katze aus dem Haus, tanzen die Schulden-Mäuse auf dem Tisch.
Es geht um klare Kante: Entweder man geht ganz oder gar nicht. Deutschland muss in Europa mit voller Kraft auftreten.
Wirtschaftskompetenz ist kein Schimpfwort
Wirtschaft und Finanzwelt machen aus ihrem Herzen keine Mördergrube: Sie wünschen sich an der Spitze der CDU eine Europa-freundliche, aber auch wirtschaftskundige Persönlichkeit. Sie oder er sollen keinen innovationsarmen Status Quo fortschreiben, sondern beherzte Reformschritte gehen, damit Deutschland auch morgen noch in der World Champions League spielt. Von Nix kommt Nix. Auch auf dem Bauernhof gilt: Nur Hühner, die gefüttert werden, legen Eier.
Tatsächlich hat Deutschland seit Kriegsende immer mit einem wettbewerbsfähigen Standort aufgetrumpft. Nur so konnte Ludwig Erhards „Wohlstand für alle“ erreicht werden. Die Reformagenda 2010 sollte im Nachhinein nicht verteufelt werden. Politik muss immer bereit sein, schwere Kost auf den Tisch bringen, wenn es der Zukunftsfähigkeit, den Arbeitsplätzen und natürlich der Finanzierung eines Sozialstaats dient. Was nutzt eine politische Pralinenpackung, die versucht, wählerwirksam alle Geschmackswünsche zu erfüllen, am Ende jedoch nur zu wirtschaftlichen Magenproblemen führt?
1997 sagte der damalige Bundespräsident „Durch Deutschland muss ein Ruck gehen“. Möge dieser Ruck in Deutschland Ruck Zuck kommen.